Bundesweit
Wiederaufnahmeverfahren
Neue Tatsachen oder Beweismittel
Tatsachen oder Beweismittel
Ein Wiederaufnahmeantrag kann gem. § 359 Nr. 5 StPO auf neue Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden. Diese können komplett neu sein oder auch in Verbindung mit bereits früher erhobenen Beweismitteln das Antragsziel begründen.
Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags in diesem Fall grundsätzlich auch die Bezeichnung geeigneter Beweismittel voraussetzt. Folglich scheitert ein Antrag meist nicht an einem fehlenden Tatsachenvortrag sondern weil die Tatsachen oder Beweismittel nicht geeignet sind den Wiederaufnahmeantrag zu begründen.
Tatsachen sind alle dem Beweis zugänglichen vergangenen oder Gegenwärtigen Vorgänge oder Zustände. (Vgl. LR Gössel, § 359 Rdnr. 58)
Rechtstatsachen wie zum Beispiel Verstöße gegen Beweismittelverbote sind keine Tatsachen im Sinne des 3 359 Nr. 5 StPO.
Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Augenschein sind förmliche Beweismittel der Strafprozessordnung und somit auch Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann nur begründet werden, wenn die Tatsachen und Beweismittel neu sind. Es stellt sich die Frage was neu im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO bedeutet.
Neu sind alle Tatsachen und Beweismittel, die das erkennende Gericht bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt hat. (Vgl. BVerfGStV 2003, 225)
Folglich können Tatsachen die bereits im Rahmen des angefochtenen Urteils berücksichtigt wurden nicht neu sein und somit den Antrag auf Wiederaufnahme nicht begründen.
Neu sind auch Tatsachen und Beweismittel die zwar der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsfällung kannte aber aus welchen Gründen auch immer nicht vorgetragen hatte.
Neuheit von Tatsachen
Neu sind meist die Tatsachen, die das Gericht nicht kannte. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Tatsachen nicht Gegenstand der Akten und der Hauptverhandlung waren und keinem weiteren Verfahrensbeteiligtem bekannt waren.
Gleichwohl ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Neuheit der Tatsache nicht allein deshalb auszuschließen ist, weil sie bereits Aktenkundig war oder in der Hauptverhandlung erörtert wurde. es besteht gemein hin immer die Möglichkeit, dass die Tatsache fehlerhaft war oder gar nicht wirklich wahrgenommen wurde.
Sollte der Rechtsanwalt jedoch Tatsachen anführen, die zwar dem Gericht bekannt waren, jedoch bei der Urteilsbegründung keine Berücksichtigung fanden sind diese Tatsachen trotzdem neu und können einen Antrag auf Wiederaufnahme begründen.
Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass auch ein Gericht, die Bedeutung einer Tatsache verkennen kann.
An dieser Stelle sind die Urteilsgründe jedoch genau zu überprüfen. Die Berücksichtigung einer Tatsache kann sich letztlich auch aus dem Gesamtumstand ergeben, ohne dass diese ausdrücklich Erwähnung gefunden hat.
Neuheit von Beweismitteln
Die Neuheit von Beweismitteln lässt sich allein darauf stützen, ob sie vom Tatgericht bei der Findung des Urteils berücksichtigt wurden.
Ist ein Beweismittel nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist das allein nicht ausreichend um die Neuheit zu begründen, stellt jedoch ein unheimlich wichtiges Indiz für seine Neuheit dar. Ist zum Beispiel ein Beweismittel verwertet worden, ohne dass es in die Hauptverhandlung eingebracht wurde kann es aufgrund der Verwertung nicht neu im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO sein.
Zeugen sind immer dann neu, wenn sie in der Hauptverhandlung nicht gehört worden sind.
Dies lässt den Schluss zu, dass ein früherer Mitangeklagter der nun als zeuge aussagen soll ein neues Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO darstellt.
Selbiges gilt für einen Sachverständigen, der bisher nicht gehört wurde und demnach auch nicht bei der Entscheidung berücksichtigt wurde. Das ist natürlich unabhängig davon ob bereits ein anderer Sachverständiger am Verfahren beteiligt war.
Anders verhält es sich jedoch, wenn ein bereits schon mal gehörter Sachverständige aufgrund neuer Feststellungen zu einem anderen Ergebnis gelangt. Dann ist kein neues Beweismittel, sondern eine neue Tatsache gegeben. Hier gilt es rechtlich zu differenzieren.
Eine Urkunde ist immer dann neu, wenn sie vom Gericht nicht berücksichtigt wurde oder auch fehlerhaft wahrgenommen wurde.
Ist eine in Augenscheinnahme bisher nicht erfolgt oder das Objekt fehlerhaft wahrgenommen, so ist auch der Augenscheinbeweis neu.
Gleichwohl begründet eine fehlerhafte Beurteilung des Augenscheins die Neuheit nicht.
Geeignetheit
Die neuen Tatsachen und Beweise müssen geeignet sein das angestrebte Antragsziel zu begründen. Nur dann ist die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig.
In der Praxis ist gerade die Geeignetheit sehr bedeutsam, da hier für den Rechtsanwalt besondere Sorgfalt geboten ist. Bei der Überprüfung der Geeignetheit wird nämlich mit einer vorläufigen Einschätzung festgestellt, ob hinreichende Erfolgsaussichten gegeben sind. Sollte dies nicht der Fall sein ist der Antrag zu verwerfen.
Erweiterte Darlegungslast
Bei verfahrensinterner Widersprüchlichkeit ist in der Regel der Beweiswert eingeschränkt, so dass es einer erweiterten Darlegungslast des Antragstellers kommt.
Die verfahrensinternen Widersprüchlichkeiten lassen sich in verschiedenen Fallgruppen unterscheiden.
Der Geständniswiderruf ist sicherlich der häufigste Fall der verfahrensinternen Widersprüchlichkeiten in einem Wiederaufnahmeverfahren und hat in der Praxis eine immense Bedeutung. Trotzdem kommt ihm im Verfahren selbst nur ein eingeschränkter Beweiswert zu, da er nur die andere Seite einer Hilfstatsache nämlich dem Geständnis selbst darstellt. Hier muss durch den Antragssteller eine ausführliche und vor allem einleuchtende Erklärung erbracht werden, warum er nun sein Aussageverhalten ändert. Das ist selbst dann nötig, wenn das Geständnis im Zusammenhang mit einer Absprache abgegeben wurde.
Ähnlich verhält es sich, bei abweichenden Einlassungen im Rahmen der Hauptverhandlung durch den Verurteilten. Auch hier müssen plausible und nachvollziehbare Gründe für die geänderte Einlassung vom Antragssteller vorgetragen werden.
Sollte der Antragsteller in der Hauptverhandlung geschwiegen haben und sich nun im Wiederaufnahmeverfahren ausführlich zur Sache einlassen gilt die erweitere Darlegungslast wie zuvor geschildert uneingeschränkt.
Manch Antragsteller gibt zudem an, ein Zeuge werde in einem erneuten Prozess anders, nämlich zu seinen Gunsten aussagen. Ändern Belastungszeugen ihre Aussage muss nachvollziehbar erörtert werden, warum der Zeuge denn zuvor falsche Angaben gemacht hat. Sinnvoll kann es in diesem Fall sein, dass der Zeuge selbst eine Erklärung abgibt. Dies ist nicht nötig, wenn er sich gegenüber einem Dritten erklärt, dass er zuvor den Antragsteller zu unrecht belastet hat. In diesem Fall dürfen die Anforderungen an den Antragsteller nicht zu stark ausgeweitet werden.
Sollte hingegen ein Mitangeklagter seine belastende Aussage zurücknehmen, muss erörtert werden, woraus genau sich die Unrichtigkeit der Angaben ergibt um Erfolg zu haben.
Mit der erweiterten Darlegungslast darf jedoch nicht die Beweiswürdigung vorweggenommen werden. Denn die bleibt einzig der neuen Hauptverhandlung vorbehalten.